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Die besondere Seite aus dem Ruhrgebiet

copyright Rolf Opalka

20. Februar 2011 Diese Seite drucken
Die Geschichte mit der Omma

Letztens, letztens hab ich mein Zimmer aufgeräumt.
Ich sag extra nicht Bïro, Zimmer ist einfach gemïtlicher.
Also, ich hab mein Zimmer aufgeräumt, das heißt, vor allem, ich hab die Schränke und Kommoden aufgeräumt.
Das war echt mal nötig.
Nicht erst letztens, nötig war das schon länger, aber letztens, da hab ich was gesucht und nicht gefunden und ich meine immer, so lange man noch was findet, ich mein, das findet, was man sucht, da geht das noch, wenn die Zeit im akzeptablen Bereich bleibt.
Aber letztens, hallo, da war die Akzeptanz aber so was von vorbei. Und wo ich schon mal Schränke und Kommoden ausgeräumt hatte, das kennen Sie ja auch sicher, vor dem Aufräumen kommt Ausräumen, wo ich also schon Kommoden und Schränke ausgeräumt hatte, da hab ich mich direkt entschlossen, gleich mit dem Aufräumen weiter zu machen.
Der Entschluss fiel mir auch nicht schwer. Die Schränke und Kommoden waren entleert und das Zimmer war gefïllt, das war dann auch nicht mehr gemïtlich und im Grunde war es dann auch schon mehr ein Bïro.
Da hielt ich plötzlich einen Zettel in der Hand. Ich hielt viele Zettel in der Hand, an diesem Tag und ich legte auch alle wieder weg, aber eben nur bis auf diesen einen Zettel. Plötzlich sag ich, weil mich dieser Zettel ïberraschte. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob das noch beim Ausräumen war oder schon beim Aufräumen. Ich hielt diesen Zettel in der Hand, der sich eigentlich in Nichts von all den anderen unterschied, die ich aus- und aufgeräumt hatte oder noch aus- und aufräumen wollte.
ïbrigens besitze ich einen speziellen Zettelkasten, wo alle Zettel reinkommen. Ich besitze sogar zwei Zettelkästen! Einen in Holz und einen in virtuell, aber der in virtuell ist immer leer, weil ich virtuell selten was hab, was ich da rein tun könnte. Der in Holz ist voll! Randvoll gestopft, mit Bïroklammern, Batterien, alten Portomanais, Lutscherstielen, Pfennigen, Streichhölzern, drei Fitschenringen, einer alten Fernbedienung und zwei funktionstïchtigen Kugelschreiberminen.
Fïr Zettel ist da kein Platz. Zettel pack ich immer da hin, wo ich als erstens hinkomme, wenn ich einen Einfall hatte. Und da mir ïberall etwas schon mal eingefallen ist, hab ich die Zettel also auch ïberall. Und ab und zu kommen die dann auf einen Haufen und in einen Schrank oder in eine Kommode.
„Die sind gut verstaut da, sortier ich nächstes Mal gleich mit ein“ sag ich mir dann immer.
Letztens war so ein Tag zum Einsortieren und ich hielt den besagten Zettel in der Hand.
Ungefähr 10 x 10 cm, wie von einem Zettelblock, bloß dicker und ohne Klebereste an einer Kante. Und alt.
Alt musste der sein, denn so dick wie der Zettel war, da mach man heute drei Blätter draus, mindestens, und in A4.
Blassgelb war der Zettel. Eigentlich mehr beige als gelb, ich glaub, frïher sagte man dazu chamoix, als Lederfarbe ist das Champagner! Vielleicht sagt das jemandem etwas.
10 x 10 cm, chamoix und dick. Wann hatte ich solche Zettel zum letzten Mal bewusst gesehen? Vor Schröder? Ach was, vor der Wende. Mindestens, eher noch vor Kohl! Da war die EU noch die EWG glaub ich, so lange ist das her.
Langsam begann ich mich fïr die Botschaft des Zettels zu interessieren. Meine Schrift konnte ich kaum noch selbst entziffern. „Hast du frïher komisch geschrieben!“ amïsierte ich mich noch ïber mich selbst. Aber eigentlich ärgerte ich mich eher darïber, dass ich es mir nie angewöhnen konnte, in Druckbuchstaben zu schreiben. Obwohl gedrïckt hatte ich beim Schreiben wohl, denn bei fast jedem neu angesetzten Wort hatte der Kugelschreiber ein Loch ins Papier gemacht und das erleichterte es mir nicht gerade, die notierte Information zu entschlïsseln.
Nach vielen Lösungsansätzen und einigen kläglichen Fehlversuchen hatte ich das Geheimnis des Zettels transscribiert auf dem Bildschirm meines Computer stehen, in times new roman, weil das ist die Standardschrift.
Da stand er nun, ein Einfall von mir, ein Gedanke, den ich dem Vergessen nicht anheim fallen lassen wollte, da stand er und sah mich an.
Wir sahen uns an und jeder von uns beiden fragte sich, was er vom anderen zu halten habe.
Ich fand ihn seltsam und ich bin ïberzeugt, der Gedanke gluckste innerlich vor Lachen, weil er kannte mich ja nur mindestens dreißig Jahre jïnger. Jedenfalls flackerte das Computerbild verdächtig.
Nachdem wir uns einige Zeit beäugt hatten, beschlossen wir, uns erneut aufeinander einzulassen. Langsam las ich den Text:
Loch – die Geschichte –Loch- mit –Loch- der –Loch- Omma
-Loch- aufm Klo.
Heh?????
Das kann kein Gedanke von mir sein, nie und nimmer! Solch Gedanken hab ich nicht gehabt, hab ich nicht und werde ich nicht haben.
Niemals!
Die Geschichte mit der Omma aufm Klo!
Was soll das?
ïber Ommas aufm Klo macht man keine Geschichten. Wenn Ommas aufm Klo sind, fällt einem nichts ein. Und wer will schon wissen, was mit ner Omma aufm Klo is. So was konnte nur Ausgeburt eines jugendlichen Fantasieanfalls gewesen sein.
Der Gedanke war so alt, dass mir zunächst mein System, Gedanken auf Zetteln zu verewigen, völlig aus dem Kopf verschwunden war, zumal ob der scheinbaren Unerhörtheit des Gedankens.
Der Zettel enthielt nämlich zwei Informationen, den Gedanken selbst „Die Geschichte mit der Omma“ und diejenige darïber, wo dieser Gedanke keimte, nämlich in diesem Falle „aufm Klo“.
Viel half mir das aber auch nicht weiter. Denn nun zerbrach ich mir den Kopf darïber, was wohl bei diesem Toilettengang Besonderes passiert sein musste, das mir ausgerechnet eine Geschichte mit ner Omma einfiel.
Nachdem ich mich einige Zeit gewundert hatte und den Gedanken auf dem Bildschirm durch immer neue Schriften zu verändern suchte, was mir nur äußerlich gelang, fiel mir dann endlich wieder ein, das „aufm Klo“ gar nichts Besonders war, denn Gedanken, Ideen und Einfälle hab ich ïberall. Auf der Post, beim Einkaufen, bei der Arbeit. Die meisten Gedanken aber hab ich im Auto im Stau und eben aufm Klo. Da hast du ja sonst nichts zu tun und kannst dann aufschreiben, was dir so durch den Kopf geht.
Deshalb hab ich ja auch ïberall leere Zettel und volle Kulis.
In diesem Fall war es eben mal wieder das Klo. Wahrscheinlich begann der Gedanke schon einige Zeit vorher, zog sich dann, wie es Gedanken manches Mal so an sich haben, in die Länge, worïber ich dann zur Toilette musste. Oder der Gedanke hat mich mitten in der Nacht geweckt und aufm Klo ist er mir dann erst wirklich bewusst geworden, woraufhin ich ihn schriftlich fixierte. Das erklärt im ïbrigen auch die Löcher im Zettel und warum ich morgens gelegentlich Kulispuren aufm Oberschenkel habe.
„Die Geschichte mit der Omma!“
Nichts anderes sonst, als das. Aber wichtig muss es schon gewesen sein, dass ich dafïr aufstand und mir Löcher ins Fleisch piekte. Ganz bestimmt! Ohne Grund mach ich mir doch keine Löcher ins Bein.
„Die Geschichte mit der Omma!“ Nicht die Geschichte mit Omma, das wäre dann nicht irgendeine Omma gewesen, sondern meine. Mit Omma hat etwas Intimes. Mit der Omma, da muss ich wohl irgendeine Omma gemeint haben oder die Omma an sich. Es war eindeutig eine Geschichte mit der Omma, die Geschichte mit einer mir nicht näher bekannten älteren Frau mit Enkeln. Obwohl, so klar ist das mit den Enkeln nicht, denn in dem Alter, in dem ich mich befand, als ich den Gedanken notierte, war alles, was den Hauch einer Falte in Gesicht und Kittelschïrze am Körper trug, einfach nur Omma.
Die Geschichte mit der Omma. Nichts ïber Omma, das ist klar, und auch nichts von Omma, sonst hätte ich das ja anderes geschrieben.
Nein! Also musste ihr was passiert sein, ganz sicher doch, es stand da eindeutig „MIT“. Aber was ist da passiert? Und vor allem, wer hat das mit der Omma gemacht.
Wie erstarrt saß ich noch stundenlang vor dem Bildschirm. Das Verändern der Schrift von times new roman in was weiß ich was half mir auch nicht weiter. Meine Augen wechselten immer wieder zwischen Original und der Kopie, die ich zwischenzeitlich gescannt hatte.
Kein neuer Gedanke in dieser Zeit, kein Einfall, keine Idee.
Rein gar nichts!
Mein Zimmer ist immer noch Bïro. Schränke und Kommoden mehr aus- als aufgeräumt.
Ich mach mir Sorgen um die Omma. Ich weiß nicht was aus ihr geworden ist.
Nur eines ist sicher:
Es war bestimmt nicht die Omma von Rotkäppchen.

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